"Es kommt auf uns an"
Brief an die Partnerstadt Chodziez/ Sorge vor nationalistischen Egoismen
Schon beim Besuch im Mai übergab die Nottulner Delegation Geschenke und eine Spende für die Armenküche von Joanna Pietraczak. Nun wurde auch eine kleine Weihnachtssammlung für die Armenküche durchgeführt. Foto: Peter Buddendick
Nottuln. Er ist inzwischen zu einer guten Tradition geworden, der Brief zum Jahreswechsel an Nottulns polnische Partnerstadt Chodziez. In diesem Jahr haben ihn erstmals Bürgermeisterin Manuela Mahnke und Robert Hülsbusch als Vorsitzender des Partnerschaftskomitees Chodziez verfasst. Dabei ist der Brief nicht nur eine Rückschau auf die Beziehungen beider Orte. Bürgermeisterin Mahnke und Robert Hülsbusch sprechen auch die Flüchtlingssituation und die nationalistische Entwicklung in Europa an und unterstreichen die Notwendigkeit von Partnerschaften wie der zwischen Nottuln und Chodziez für ein friedvolles Zusammenleben in Europa.
In dem Schreiben aus Nottuln, das an Bürgermeister Jacek Gursz und die Komiteevorsitzende Beata Swiderska adressiert ist, heißt es unter anderem:
„Wieder geht ein ereignisreiches Jahr. Auch 2015 fanden viele gegenseitige Besuche statt. Wir erinnern uns besonders sehr gern an unsere Fahrt über den 1. Mai nach Chodziez. . . . Diese Städtepartnerschaft ist lebendig und hat noch eine große Zukunft. Besonders freuen wir uns, dass auch der Schulaustausch – trotz einiger Schwierigkeiten – weitergeht. . . . Für das Jahr 2016 sind wieder viele Begegnungen geplant. Besonders freuen wir uns auf ein Komiteetreffen in der wunderbaren Stadt Dresden.
2015 war – politisch gesehen – kein einfaches Jahr. Kriege, Flüchtlingsströme, Terror – große Herausforderungen. Herausforderungen, die auch vielen Menschen Angst machen. Oft hat die Politik darauf keine Antworten. Die Menschen suchen dann Halt bei politischen Parteien, die einfache, oft nationalistisch orientierte Antworten bieten.
Viele, sehr viele Menschen kamen in der zweiten Hälfte des Jahres 2015 nach Europa, flohen vor Krieg, Gewalt, Armut und Not. Viele Menschen in Europa, viele Menschen in Deutschland engagierten sich für die Flüchtlinge, bereiteten ihnen einen würdigen Empfang.
Aber Europa reagierte auf diese Herausforderung nicht immer glücklich. Nationalistische Egoismen wurden deutlich, neue Zäune wurden errichtet, Solidarität und Helfen in der Not – das sind doch europäische Werte, für die wir uns immer eingesetzt haben.
Wir sollten alles tun, damit das Trennende nicht die Beziehungen der Länder in Europa bestimmt. Gerade jetzt kommt es darauf an, alles verbindend Europäische zu aktivieren. Gerade jetzt kommt es auch auf uns an. Wir müssen unsere guten Kontakte nutzen. Mit fast 600 Städtepartnerschaften zwischen polnischen und deutschen Kommunen gibt es auf der lokalen Ebene tausendfache Möglichkeiten für Begegnungen.
Lassen wir es nicht zu, dass wieder Grenzen uns trennen werden, dass das solidarische Haus Europa Schaden nimmt.
Schon im letzten Weihnachtsbrief, als die Ukraine-Krise auf ihrem Höhepunkt war, zitierten wir zum Ende den ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. 1990 sagte dieser: „Der Kalte Krieg ist überwunden. Freiheit und Demokratie haben sich bald in allen Staaten durchgesetzt. . . . Nun können sie ihre Beziehungen so verdichten und institutionell absichern, dass daraus erstmals eine gemeinsame Lebens- und Friedensordnung werden kann. Für die Völker Europas beginnt damit ein grundlegend neues Kapitel in ihrer Geschichte. Das Ziel ist eine gesamteuropäische Einigung. Es ist ein gewaltiges Ziel. Wir können es erreichen, aber wir können es auch verfehlen. Wir stehen vor der klaren Alternative, Europa zu einigen oder gemäß leidvollen historischen Beispielen wieder in nationalistische Gegensätze zurückzufallen.“
Mit unserer Städtepartnerschaft tragen wir dazu bei, dass die Länder Europas einen friedvollen, gut nachbarschaftlichen Weg gehen. Und wenn es Menschen in Not gibt, helfen wir.
So haben wir in Nottuln in der Weihnachtszeit eine kleine Spendensammlung durchgeführt. Das Geld übergeben wir an den Weihnachtstagen Johanna Pietraszak, die damit ihre wichtige Arbeit in der Armenküche Chodziez wahrnehmen kann. ... Wir können nur gut leben, wenn alle Menschen gut leben können.
Wir freuen uns nun auf schöne ruhige Tage und auf ein friedliches Weihnachten. Vielen Menschen in der Welt ist dies nicht vergönnt. Wir freuen uns auf ein weiteres Jahr intensiver Partnerschaft. Und wir freuen uns sehr uns auf ein Wiedersehen im neuen Jahr!“
Westfälische Nachrichten, 21. Dezember 2015