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Gruppenbild
Auch in der Anfangsklasse des Städtischen Gymnasiums in Chodziez gab der Nottulner Peter Steil Deutschunterricht. Vier Wochen lang war der 70-Jährige im Rahmen eines deutsch-polnischen Sprachprojektes in der Partnerstadt.

„Vor allem war es spannend“

Nottuln. Vier Wochen lang hat Peter Steil aus Nottuln in der polnischen Partnerstadt Chodziez Deutsch gelehrt. Der 70-Jährige bestritt den zweiten Teil eines deutsch-polnischen Sprachprojektes, das von der EU gefördert wird. Über seine Arbeit und Erlebnisse in Chodziez sprach die Redaktion mit dem früheren Leiter des Nottulner Gymnasiums:

Herr Steil, wie war es, plötzlich wieder im „aktiven Schuldienst“ zu stehen und zu unterrichten?

Steil: Es hat Spaß gemacht, es war anstrengend, aber vor allem war es spannend. Für mich als Mathematiker und fachfremder Lateinlehrer war das ja etwas ganz Neues: eine lebende Sprache zu vermitteln. Und wenn es die Muttersprache ist, macht das die Sache ja nicht unbedingt leichter. Man benutzt sie ganz selbstverständlich und ist sich der Regeln - und der vielen Merkwürdigkeiten - oft gar nicht bewusst. Mir hat hier sehr geholfen, dass ich mein Polnisch überwiegend in sogenannten „Tandemkursen“ gelernt habe. Die Hälfte der Teilnehmer waren wie ich Deutsche, die Polnisch lernten, die andere Hälfte Polen, die Deutsch lernten. Neben dem Sprachunterricht in einsprachigen Gruppen gehörten dazu regelmäßig Tandemeinheiten mit deutsch-polnischen Paaren, in denen jeder zugleich Lehrer und Schüler seines Partners ist. Das war ein gutes Training.

An welchen Bildungseinrichtungen in Chodziez haben Sie Deutschunterricht gegeben?

Steil: Ich habe in insgesamt vier Schulen und in der Universität des Dritten Lebensalters´, d.h. der Volkshochschule für Senioren, unterrichtet. Unter den Schulen waren einmal unsere Partnerschulen: also das dortige Gymnasium, das an die sechsjährige Grundschule anschließt und eine dreijährige Mittelschule darstellt, sowie das Lyceum, das seinerseits an das Gymnasium anschließt und in drei Jahren zum Abitur führt. Zum andern habe ich in einem Lyceum der Landgemeinde Chodziez und im Berufskolleg des Kreises gearbeitet.

Wie haben die Jugendlichen auf die deutsche Sprache reagiert, wie die Erwachsenen?

Steil: Zunächst einmal: Ich war überall mehr als willkommen. In den Lerngruppen, in den Kollegien, bei den Schulleitungen und bis hin zu den Verwaltungsspitzen. So gut wie jede Deutsch-Klasse wollte mich unbedingt einmal „haben“, was leider gar nicht möglich war. Und die Senioren, ganz überwiegend ältere Damen, waren regelrecht „heiß“ auf den deutschen Deutschlehrer. In den Klassen gab es allerdings erst einmal auch eine ziemlich große Distanz: Wie kann man vor dem „ehemaligen Direktor des Gymnasiums in Nottuln“, als der ich immer vorgestellt wurde, als Schüler seinen Mund aufmachen, und dann noch auf Deutsch! Hier hat mir dann aber sehr geholfen, dass ich sagen konnte und gesagt habe: „So, Ihr lernt Deutsch, da kann ich Euch helfen, und ich lerne Polnisch, da könnt Ihr mir helfen.“ Und so war´s dann auch.Meine Rolle war ja eine ganz andere als die von Herrn Skibinski oder Herrn Ordowski hier in Nottuln. Als „Deutsch-Assistent“ haben sich verschiedene Formen meiner Arbeit ergeben. Die vielleicht wichtigste: Training für die mündliche Prüfung in Abiturklassen anhand von Original-Prüfungsaufgaben. Daneben „Besuche“ für ein, zwei Stunden in ganz unterschiedlichen Klassen. Hier war ich meist in den normalen Unterricht integriert, mit Schwerpunkten wie Ausspracheübungen oder dem Vergleich von unterschiedlichen Merkmalen unserer beiden Sprachen. Und schließlich die Arbeit mit Gruppen außerhalb des normalen Unterrichts, zum Beispiel mit besonders am Deutschen interessierten Schülern. In diesen Gruppen fiel mir auf - und das nötigt mir großen Respekt ab -, dass nicht wenige Privatunterricht nehmen, weil das schulische Angebot mit oft nur zwei Wochenstunden ihnen nicht reicht.

Glauben Sie, dass die Menschen in Chodziez durch das Sprachprojekt die deutsche Mentalität besser verstehen werden?

Steil: Nein, das glaube ich eigentlich nicht. Dieses Verständnis entsteht sicherlich viel eher bei den zahlreichen Begegnungen in den unterschiedlichsten Gruppen als in dieser Lehrer-Schüler-Situation. Andererseits, und das ist Andrzej Skibinski genau so ergangen wie mir, haben wir „alten Hasen“ noch viel Neues erfahren - ich besonders über das dortige Schulleben, in das ich ja viel stärker integriert war als er.

Sie kennen beide Sprachen, welche ist leichter zu erlernen?

Steil: Das kann ich eigentlich schlecht einschätzen, weil ich Deutsch ja ganz anders „gelernt“ habe als Polnisch - ich bin damit aufgewachsen. Allerdings, wenn Polnisch bei uns als eine schwer zu erlernende Sprache gilt, so kann ich das durchaus bestätigen. Wobei das für mich persönlich allerdings nicht nur eine Frage der Sprache selbst, sondern auch des Alters ist - natürlich lernt man in jungen Jahren leichter und schneller. Aber die Schüler in Polen empfinden Deutsch auch als sehr schwierig, und ich kann zumindest Einzelnes in beiden Sprachen nennen, was diese Einschätzungen stützt.
Beispiel Aussprache: Uns machen die vielen S- und Zischlaute sowie die nicht seltene unmittelbare Aufeinanderfolge von drei oder vier Konsonanten Mühe, Polen dagegen unsere Umlaute oder die ganz unterschiedliche Aussprache desselben Vokals.
Oder das Beispiel Grammatik: Polen macht der Gebrauch des Artikels beim Substantiv - bestimmter, unbestimmter oder gar keiner - Probleme, uns die sieben Fälle, die das Polnische kennt.
Noch ein letztes Bespiel: Polen müssen sich mit sechs verschiedenen Zeitformen des deutschen Verbs herumplagen. Das Polnische kennt dagegen nur die drei Hauptzeiten, dafür gibt es fast jedes Verb in zwei Ausgaben, je nachdem, ob man den Vorgang oder das Ergebnis, die Wiederholung oder Einmaligkeit einer Handlung hervorheben möchte.

Herr Steil, Sie haben dieses Projekt maßgeblich initiiert. Wie kann die Städtepartnerschaft zwischen Nottuln und Chodziez davon profitieren?

Steil: Ich hoffe und denke, auf mehrfache Weise. Einmal stärkt und vertieft nach meiner Überzeugung gerade das Bemühen um die Sprache des Partners die Verbindung zueinander und das gegenseitige Verständnis. Wir freuen uns deshalb ungemein, dass auch und gerade die Grundschüler bei uns so begeistert bei der Sache waren. Und in Chodziez, wie wohl überall in Polen, ist inzwischen - verständlicherweise - Englisch der große Konkurrent aller anderen Fremdsprachen, auch des Deutschen. Da kann die Unterstützung des Deutschunterrichts nur hilfreich sein. Deshalb soll es sich ja auch nicht um ein einmaliges Projekt handeln, es verlangt geradezu eine Fortsetzung und die soll es auch geben. Zum andern: Es handelt sich um ein Projekt innerhalb des EU-Programms „Freiwilligendienste älterer Menschen“ - was übrigens für die EU bedeutet: 50+. Solche Projekte sind ja auch in ganz anderen Bereichen denkbar, wie Kunst, Musik, aber auch in bestimmten sozialen Feldern. Und solche Projekte müssen auch nicht auf die Partnerschaft mit Chodziez begrenzt bleiben, sondern können St.-Amand-Montrond oder beispielsweise auch ukrainische Partner des Kreises Chodziez einbeziehen.

Ist das deutsch-polnische Sprachprojekt nun beendet?

Steil: Nein. Anfang des nächsten Schuljahres wird Lucjan Ordowski aus Chodziez, wie Andrzej Skiba´ Skibinski Deutschlehrer im Ruhestand, wieder für vier Wochen hier in Nottuln Polnischkurse anbieten, worauf wir uns schon sehr freuen. Und im Februar/März des nächsten Jahres wird Eva Pek aus Oldenburg, die wir Dank der Vermittlung der Deutsch-Polnischen Gesellschaft in Senden als Freiwillige gewinnen konnten, wie ich vier Wochen in Chodziez sein. Das wird für die polnischen Schüler ganz besonders interessant sein, weil Frau Pek sowohl deutsche als auch polnische Wurzeln hat und daher beide Sprachen perfekt spricht, aber auch beide Mentalitäten aus ihrer eigenen Lebensgeschichte kennt. Damit wird dann das Projekt, soweit die EU es fördert, beendet sein. Aber, wie ich ja schon betonte: Wir hoffen nicht nur, dass die Bemühungen um die Sprache des Partners eine Fortsetzung finden werden, sondern dass es „Freiwilligendienste älterer Menschen“ auch in anderen Bereichen geben wird.

Westfälische Nachrichten, 15.April 2011

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